Herr der Ratten by Gentle Mary

Herr der Ratten by Gentle Mary

Autor:Gentle, Mary [Gentle, Mary]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Das Fallreep knirschte, als es den Kai traf.

Sechs oder acht sehr junge Kinder beugten sich über die Bootsreling; sie lärmten, glitten zurück; der candovardische Botschafter hörte ihr schrilles Kreischen. Hoch droben, nicht sichtbar, trampelten bloße Füße auf dem Deck.

»Sir?«

Andaluz blickte die rothaarige Sekretärin an seiner Seite an.

»Mein liebes Mädchen, du nimmst doch nicht an, daß … Nein. Er wäre auf dem Boot, wenn es unter dem Weißen Berg andockt, nicht hier. Ich meine meinen Sohn.« Eine Windböe traf ihn ins Gesicht. Er rieb sich abwesend das Haar und spürte, daß es vom Salz steif geworden war. »Mein verstorbener Sohn. Du würdest ihn leicht erkennen, Claris. Er hatte eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit meinem Neffen.«

Schatten, klein wie Pfützen, zeigten sich in der Mittagssonne auf dem weißen Marmorkai: von der braunen Ratte, der Katayanerin und den beiden Candoveranern. Neben den vier Personen führten straff gespannte Taue vom Poller zum Schiff. Glatt und fest in der Sonne hoben sich schwarze, pechbestrichene Planken über dem Kopf des Botschafters. Er reckte den Hals und las den Namen des Boots, der tief in die Schiffswand eingeritzt war: Ludr.

»Ein altes Wort: es bedeutet ›Schiff‹«, sagte er, »sowie ›Wiege‹ und ›Grab‹ … die anderen Schiffe sind verschwunden?«

Die große junge Sekretärin spähte mit zusammengekniffenen Augen in den Hafen hinaus. »Ja, Sir.«

Zar-bettu-zekigal zeigte mit dem Finger hinaus. »Sie hat noch immer eine katayanische Flagge gehißt!«

»Unter vielen anderen.« Andaluz legte ihr die Hand auf die Schulter, wodurch er ihre Ungeduld im Zaum hielt.

»Das verstehe ich nicht.« Die braune Ratte, Charnay, tappte die Marmorstufen des Kais hoch und blieb neben Zar-bettu-zekigal stehen. »Als diese fünf Galeonen eingelaufen sind, konnten wir diese hier nicht sehen; und jetzt können wir diese eine sehen, und die anderen Galeonen sind verschwunden.«

»Ach, nein! Hast du noch nie zuvor das Boot gesehen?« Zar-bettu-zekigal legte das Gewicht auf die bloßen Fersen, rollte den Schwanz hoch und kratzte sich damit das struppige Haar. »Siehst du, es müssen Hunderte von ihnen an Bord sein. Das Boot ist den ganzen Sommer noch nicht hier gewesen.«

Die eingerollten Segel glänzten in einem ocker- und sandfarben getönten Weiß in der Mittagssonne. Vom Deck tönte das Geschrei von Kinderstimmen.

»Ich kann deswegen nicht hierbleiben«, protestierte Charnay. »Ich muß Messire Plessiez finden. Er muß zum Nächtlichen Konzil!«

Andaluz achtete nicht mehr weiter auf ihre Worte. Die Sonnenstrahlen prallten auf seinen unbedeckten Kopf; er schwitzte und blinzelte Hitzeflecken aus dem Blickfeld. Die Geräusche ertönten klar und deutlich: die unruhigen Pferde an der Deichsel der Kutsche oben auf der Promenade, und – weit entfernt, jenseits des Flugplatzes und des Marktes – Stimmengebrüll …

Das Fallreep quietschte.

Andaluz nahm unbewußt Haltung wie bei einer formellen Begrüßung an. Dann entspannte er das steif aufgerichtete Rückgrat und lächelte versonnen.

Ein Kind, etwa zwei oder drei Jahre alt, stolperte die Planken hinab. Ein weiteres folgte, es war so dunkel, wie das erste hell gewesen war; es hockte sich nieder und zerrte am durch die Sonnenhitze erweichten Pech der Planke. Als es den Kai betrat, faßte es das andere Kind bei der Hand. Beide gingen davon.

»Sie …«

Andaluz hielt die Hand hoch, damit Claris nicht weitersprach.



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